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Donnerstag, 24. Januar 2019

Steingart: Madman-Theorie


Gabor Steingart - Das Morning Briefing
25.01.2019
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Guten Morgen Rolf Koch,
Sie müssen jetzt tapfer sein, denn wir haben es mit einer höchst unbequemen Wahrheit zu tun: Die Madman-Theorie setzt sich weltweit durch.

Die Madman-Theorie stammt von US-Präsident Richard Nixon, den seine Parteifreunde „Tricky Dicky“ nannten. Während des Vietnamkriegs wollten er und sein Außenminister Henry Kissingerdie kommunistische Welt davon überzeugen, dass der Präsident der Vereinigten Staaten unzurechnungsfähig und zu irrationalen Handlungen imstande sei. Mehrere Tage ließ man Kampfflugzeuge, die mit Atomwaffen bestückt waren, entlang des sowjetischen Luftraumes fliegen, um den kommunistischen Vormarsch auf Saigon doch noch zu verhindern. Gegenüber seinem Stabschef Harry Robbins „Bob“ Haldeman erklärte Nixon seine Theorie so:
I call it the Madman Theory, Bob. I want the North Vietnamese to believe I’ve reached the point where I might do anything to stop the war.
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Drei Regierungschefs unserer Zeit setzen ebenfalls auf die Strategie des Alles-Oder-Nichts, am erfolgreichsten bislang der nordkoreanische Diktator Kim Jong Un. Mit seinen Atomwaffentests, zunächst unterirdisch und schließlich über Land, zwang er Amerika an den Verhandlungstisch. Der „Irre mit der Bombe“ („Spiegel“) wird – anders als Richard Nixon – mutmaßlich das bekommen, was er will: weltweiten Respekt, einen Friedensvertrag und sogar das Ende der westlichen Sanktionspolitik.
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Donald Trump setzt seinerseits im Umgang mit China auf die Madman-Theorie. Er erweckt den Eindruck, dass er gewillt sei, den Aufstieg der Chinesen zu stoppen, auch um den Preis ökonomischer Wohlstandsverluste in den USA.

Trump hat dem Reich der Mitte eine Deadline zum 1. März gesetzt. Gibt es bis dahin keine Zugeständnisse in der Handelspolitik, will er mit weiteren Strafzöllen auf chinesische Importe im Wert von 150 Milliarden US-Dollar den Handelskrieg weiter eskalieren lassen. Trump: „China bestiehlt uns. Es ist der größte Diebstahl der Weltgeschichte.“
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Theresa May mit ihrer starrköpfigen Brexit-Politik, die weder im Unterhaus noch in Brüssel Zustimmung findet, setzt ebenfalls erkennbar auf die Madman-Theorie. Sie lässt keinen Raum für Kompromisse und steuert ihr Land, scheinbar mit Vollgas, in einen ungeordneten Austritt aus der Europäischen Union. Sie setzt darauf, dass sich aus Angst vor einer Kettenreaktion doch noch einer der Spieler bewegt. Womöglich gelingt es ihr sogar auf diese Art, eine zweite Volksabstimmung zu erzwingen. Am 29. März ist D-Day.„Fear of March madness“ schlagzeilt heute die „Financial Times“.

Die Madman-Theorie hat den Nachteil, dass sie wehrlose Dritte – damals die Vietnamesen, heute die Chinesen, Briten und uns Festland-Europäer – einer Eskalation aussetzt, deren Dynamik schwer zu kontrollieren ist. Die verrückten Akteure aber sind womöglich in ihrer Rolle gefangen, die mit Rechthaberei beginnt und zur Raserei verleitet. Trump weiß, wovon hier die Rede ist. Die schwierigste Form der Beherrschung ist nun mal die Selbstbeherrschung.

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