Eine Katastrophe reicht
Natürlich ist Venezuela nicht Syrien, Präsident Maduro nicht Baschar al-Assad. Zwischen Südamerika und dem Nahen Osten liegen nicht nur geografisch Welten. Und doch haben die Krisenländer eines gemeinsam: Sie stehen im Visier Washingtons. In Syrien haben die USA und ihre Verbündeten einen Regimewechsel herbeizuführen versucht und sind damit gescheitert. Im ölreichen Venezuela versuchen sie es gerade und werden voraussichtlich auch dort scheitern, weil das Militär an Maduro festhält. Gleichzeitig erhöhen sich die Spannungen zwischen Amerika und Russland, weil Moskau auf Seiten der jeweiligen Machthaber steht. Den Preis für solche geopolitischen Scharaden zahlt in erster Linie die einheimische Bevölkerung, deren Lebensbedingungen sich infolge von Krieg, Gewalt und wirtschaftlicher Not weiter verschärfen.
Fangen wir an mit Syrien. Der dortige Krieg begann 2011, im Zuge der arabischen Revolte. Die zunächst friedlichen Demonstrationen in verschiedenen Städten, vor allem gegen Korruption und fehlende wirtschaftliche Perspektiven, wurden von Assads Sicherheitskräften brutal niedergeschlagen. Daraufhin radikalisierten sich die Proteste – gleichzeitig wurden sie zunehmend von Dschihadisten maßgeblich aus dem Irak, der Heimat des „Islamischen Staates“, „gekapert.“ In einem freigegebenen Dokument der DIA, des amerikanischen Militärgeheimdienstes, vom 12. August 2012 heißt es unmissverständlich, dass inzwischen verschiedene islamistische Gruppen, darunter der „Islamische Staat“, „die treibenden Kräfte des Aufstands in Syrien“ seien. Die westlichen Länder, die Golfstaaten und die Türkei, die einen Regimewechsel anstrebten, würden das Entstehen eines „salafistischen Herrschaftsgebietes“ im Osten Syriens begrüßen, um Damaskus dadurch zu „isolieren.“
Regimewechsel oder weitreichende Sanktionen werden nur dort propagiert oder verhängt, wo der jeweilige Herrscher nicht pro-westlich ist.
Dieser Zusammenhang ist von grundlegender Bedeutung, widerspricht er doch dem westlichen Narrativ, der von Politik und Medien als richtig empfundenen Erzählung über den Syrienkrieg. Demzufolge hat sich das syrische Volk in einem verzweifelten Freiheitskampf gegen seine Unterdrücker erhoben, verkörpert vom Assad-Regime. Westliche Politik, grundsätzlich werteorientiert, konnte sich diesem Aufschrei nicht verschließen und hatte die moralische Pflicht, die Syrer aktiv in diesem ihren Freiheitskampf zu unterstützen (also einen Regimewechsel herbeizuführen). Mit Hilfe von Wirtschaftssanktionen, aber auch Waffenlieferungen an die „Rebellen“ und der Unterstützung syrischer Oppositionsgruppen im Ausland – unter aktiver Beteiligung der Türkei und der Golfstaaten. Hätten nicht die „Bösen“, also Assads Verbündete Russland und der Iran, das Regime massiv unterstützt, vor allem militärisch, wäre Syrien längst befreit und die demokratische Morgenröte vollzogen, und zwar mit Hilfe der vielbeschworenen „Zivilgesellschaft.“ Die allerdings gibt es in halbfeudalen Staaten nur in Ansätzen.
Dieses stark ideologisierte Narrativ interessiert sich kaum für die geopolitischen Hintergründe des Syrienkrieges, auch nicht für die Faktenlage vor Ort. Ungeachtet aller Brutalität des Assad-Regimes haben sich die religiösen Minderheiten, darunter die Christen, zu keinem Zeitpunkt am Aufstand gegen Damaskus beteiligt. Dessen soziale Basis war und ist vor allem das sunnitische Prekariat in den Großstädten, darunter viele ehemalige Kleinbauern, die infolge von Dürre und Klimaerwärmung ihre Subsistenz-Landwirtschaft aufgeben mussten. Diese verarmten Sunniten stellen auch einen Großteil der syrischen Flüchtlinge in Deutschland.
Geopolitisch haben die USA seit Beginn der 2000er Jahre versucht, den Iran zu schwächen, indem sie dessen wichtigsten Verbündeten Damaskus destabilisieren. Gleichzeit ist Syrien ein wichtiges Transitland (Straßen und Pipelines) aus der Golfregion Richtung Türkei und Europa. Offenbar fiel die Entscheidung, Assad zu stürzen, endgültig 2009 – in dem Jahr erklärte der Staatschef, eine geplante Gaspipeline aus Katar in die Türkei werde nicht über Syrien verlaufen. Diese Konkurrenz auf dem Gasmarkt in Europa wollte Assads Verbündeter Russland um jeden Preis verhindern. Aus Sicht der Geostrategen und Hardliner in Washington, aber auch in Paris und London, war der Aufstand 2011 ein „Gottesgeschenk“ – der ideale Vorwand, um einen Regimewechsel im Namen der Freiheit zu propagieren.
Keine Frage, Assad ist ein Gewaltherrscher. Das sind andere Machthaber in der Region allerdings auch. Regimewechsel oder weitreichende Sanktionen werden aber nur dort propagiert oder verhängt, wo der jeweilige Herrscher nicht pro-westlich ist.
Grundsätzlich ersetzt die moralische Emphase nicht die politische Analyse. Syrien war bis 2011 ein Schwerpunktland deutscher Entwicklungshilfe. Die Beziehungen Berlins zu Damaskus waren besser als gut. Anstatt vermittelnd in Syrien einzugreifen, sich als ehrlicher Makler zu empfehlen, hat sich die Bundesregierung ohne Not der aus Washington, London und Paris vorgegebenen Linie eines Regimewechsels angeschlossen. Berlin hat sich also für „Bündnissolidarität“ entschieden – und somit anderswo getroffene Entscheidungen willig mitgetragen. Mit allen Konsequenzen, darunter die Aufnahme von rund 800 000 syrischen Flüchtlingen, die mehrheitlich ohne Einzelfallprüfung als politisch verfolgt anerkannt worden sind.
Syrien, Iran und Venezuela stehen exemplarisch für Konflikte, die neben ihren regionalen Bezügen auch Weltpolitik beeinflussen – einschließlich einer jederzeit möglichen militärischen Eskalation zwischen Washington und Moskau.
War es das wert, innen- wie außenpolitisch? Russland, Iran und, im Hintergrund, China haben den Stellvertreterkrieg mit den USA und ihren Verbündeten in Syrien für sich entschieden. Assad wird an der Macht bleiben. Die Arabische Liga wird ihren Ausschluss Damaskus’ eher früher als später beenden, die ersten Golfemirate eröffnen wieder ihre Botschaften in Syrien. Deutschland und die EU dagegen halten an ihren Wirtschaftssanktionen fest, auf Kosten der Syrer.
Deutsche Außenpolitik agiert oft frei von strategischem Kalkül. Das rächt sich, gerade in Zeiten globaler Umbrüche und Herausforderungen. Hier die Weltmacht USA im Niedergang, dort die aufstrebenden Mächte China und Russland. Was spricht dagegen, zu jedem dieser maßgeblichen Akteure ausgewogene und gute Beziehungen zu unterhalten? Stattdessen genügt es Berlin wie auch Brüssel, als Juniorpartner Washingtons die teils imperialen Vorgaben der USA vorbehaltlos umzusetzen. Neben Syrien geschieht das vor allem gegenüber Iran, wo sich die europäischen Vertragspartner des Atomabkommens, Deutschland, Frankreich und Großbritannien plus EU-Außenbeauftrage, nach dessen Aufkündigung durch die Regierung Trump nur halbherzig gegen die völkerrechtswidrigen sekundären Wirtschaftssanktionen der USA wenden. Und neuerdings auch in Venezuela.
Alle drei Konfliktherde, so unterschiedlich sie im einzelnen sind, zeigen deutliche Parallelen. In jedem der genannten Länder versuchen (versuchten, im Fall Syriens) die USA, einen Regimewechsel herbeizuführen. Aus geopolitischen und wirtschaftlichen Motiven, insbesondere auch der Eindämmung und Schwächung russischer (und chinesischer) Interessen. Syrien, Iran und Venezuela stehen exemplarisch für Konflikte, die neben ihren regionalen Bezügen auch Weltpolitik beeinflussen – einschließlich einer jederzeit möglichen militärischen Eskalation zwischen Washington und Moskau. Um die westliche Öffentlichkeit vom Projekt Regimewechsel zu überzeugen, folgen hiesige Medien wie auch die Politik offenbar stets vergleichbaren Mustern.
Erstens: Der in Ungnade gefallene Machthaber, beziehungsweise das jeweilige Regime werden dämonisiert und für Menschenrechtsverletzungen sowie die schwierige oder katastrophale Wirtschaftslage verantwortlich gemacht. Gewiss sind der venezolanischen Regierung unter Maduro schwerwiegende Versäumnisse vorzuwerfen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die USA das vermeintlich sozialistische Land seit Jahren wirtschaftlich zu strangulieren versuchen. Die Regierung Trump hat der CIA offenbar grünes Licht für einen Militärputsch in Caracas erteilt.
Zweitens: Dem „bösen“ Regime wird eine „gute“ Opposition gegenübergestellt, die zu unterstützen der Westen aufgrund seiner Werteorientierung geradezu verpflichtet sei. In Venezuela ist das der neoliberale, charismatische Oppositionsführer Juan Guaidó, Washingtons Favorit, der als Heilsbringer verklärt wird.
Drittens: Meinungsmacher und Entscheidungsträger blenden die Vorgeschichte der Krise aus, erwähnen vor allem die destabilisierende Rolle Washingtons nicht. Lieber schildern sie das Leid der Menschen, für das Maduro/Assad/die Mullahs etc. verantwortlich gemacht werden (und nur sie).
Brüssel wie auch Berlin haben Guaidó im Februar 2019 als Interimspräsidenten Venezuelas anerkannt – eine völkerrechtlich überaus fragwürdige Entscheidung, wie der wissenschaftliche Dienst des Bundestages bestätigt hat. Die Bundesregierung sollte sich nicht an einer Politik des Regimewechsels beteiligen: weder in Venezuela noch anderswo.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen