Gesamtzahl der Seitenaufrufe

Donnerstag, 21. März 2019

as heutige Europa ist der Zappelphilipp der Weltgeschichte.


Gabor Steingart - Das Morning Briefing
22.03.2019
…
Guten Morgen Rolf Koch,
das heutige Europa ist der Zappelphilipp der Weltgeschichte. Unfähig, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, zum Beispiel auf die geostrategischen Herausforderungen, ist Europa für jede Ablenkung dankbar. Der Typus des hypernervösen Rettungspolitikers hat sich herausgebildet. Mehrere Jahre lang rettete er Griechenland, ein Land, das weniger als zwei Prozent der europäischen Wirtschaftskraft besitzt. Mittlerweile ist die europäische Elite zur Rettung weitergereist, um den politischen Selbstmord der Briten zu verhindern. Heute Nacht beschloss der EU-Sondergipfel in Brüssel eine Verschiebung des Brexits um einige Wochen. Die treffende Überschrift zu diesem diplomatischen Großaufwand kann eigentlich nur lauten: Rasender Stillstand.
Die anderen Mitspieler der Weltgeschichte haben die Jahre seit der großen Weltfinanzkrise anders genutzt:

► Amerika unter Präsident Donald Trump justierte das Verhältnis zur aufstrebenden Weltmacht China neu. Die Experten sprechen vom „Decoupling”, also der Entkopplung der ökonomischen Wertschöpfungsketten in den Bereichen der Hochfinanz und der Hochtechnologie mit dem Ziel, den Aufstieg Chinas zu verlangsamen. Amerika first ist kein Slogan mehr, sondern seine Strategie.
► China verfolgt – diametral zur Isolierungsabsicht der Amerikaner – den Plan, sich mit den Rohstoffbesitzern in Afrika, den Pufferstaaten in Asien und den exportsüchtigen Europäern zu vernetzen. Das von der Zentralregierung in Peking mit rund 900 Milliarden Dollar unterstützte Projekt der „Neuen Seidenstraße“ ist die ehrgeizigste geostrategische Offensive der Neuzeit. Damit umarmt China 4,5 Milliarden Menschen in 67 Nationen und Territorien, die für ein Drittel des globalen Bruttoinlandsprodukts stehen.
► Und Europa? Zappelt weiter vor sich hin, wobei die südlichen Hände und die nördlichen Füße sich gegenseitig Fallen stellen. Das Establishment in Brüssel ersetzt Strategie durch Taktik, in der Hoffnung, dass dadurch die eigene Planlosigkeit nicht auffällt. Der aktuelle Europa-Gipfel war ursprünglich dafür gedacht, einen Blick auf die neue Weltordnung zu werfen und sich mit dem Verhältnis zu China zu befassen. Doch wieder absorbieren die störrischen Briten mit ihrer anti-europäischen Allergie alle Aufmerksamkeit. „Wir hoffen, dass unsere europäischen Freunde die Nullsummen-Mentalität überwinden werden“, spottete der chinesische Botschafter in Brüssel, Zhang Ming.
Doch dem Kontinent gelingt es seit Jahrzehnten nicht, sich zu konzentrieren. Amerika revitalisiert sich. China denkt groß. Europa ist hibbelig. Die anderen machen Politik, Europa macht Mätzchen. Im Märchen vom Struwwelpeter, verfasst von Heinrich Hoffmann, nimmt die Sache für den Zappelphilipp jedenfalls kein gutes Ende:
Seht, ihr lieben Kinder, seht,
wie’s dem Philipp weitergeht!
Seht! Er schaukelt gar zu wild,
bis der Stuhl nach hinten fällt.
Da ist nichts mehr, was ihn hält.
…
Im Morning Briefing Podcast  kommentiert Udo van Kampen, der 20 Jahre lang das ZDF-Studio in Brüssel geleitet hat, die nächtlichen Ereignisse:
Die Lage ist so, dass jetzt endlich Klarheit besteht und die EU das Heft des Handelns eindeutig in der Hand hält. Noch drei Wochen müssen wir warten, dann sehen wir uns das Chaos an.
…
dpa
Amerika dagegen wartet nicht, sondern haut schon wieder mit der Faust auf den Tisch.US-Präsident Donald Trump will die Strafzölle im Wert von mehr als 250 Milliarden Euro gegen China aufrechterhalten – unabhängig von einer möglichen Einigung in den derzeitigen Verhandlungen über ein Handelsabkommen. „Wir sprechen nicht darüber, sie zu entfernen. Wir sprechen darüber, sie für einen längeren Zeitraum zu belassen“, sagt Trump. Sein Plan ist nicht unser Plan, aber es ist einer.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen