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Dienstag, 5. März 2019

Guten Morgen Rolf Koch, China verliere „seinen Wow-Faktor“, schreibt Asien-Experte Daniel Moss von „Bloomberg“. Aber das trifft nur auf Menschen zu, die sich das Staunen abgewöhnt haben. In Wahrheit erleben wir, dass sich das Märchen von Hans im Glück auch rückwärts erzählen lässt: Aus dem Schleifstein des Mao Zedong wurde ein Schwein, aus dem Schwein in der Zeit von Deng Xiaoping ein Pferd, bis die heutige chinesische Führung unter Xi Jinping schließlich einen Goldklumpen in den Händen hält.

Gabor Steingart - Das Morning Briefing
06.03.2019
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dpa
Guten Morgen Rolf Koch,
China verliere „seinen Wow-Faktor“, schreibt Asien-Experte Daniel Moss von „Bloomberg“. Aber das trifft nur auf Menschen zu, die sich das Staunen abgewöhnt haben. In Wahrheit erleben wir, dass sich das Märchen von Hans im Glück auch rückwärts erzählen lässt: Aus dem Schleifstein des Mao Zedong wurde ein Schwein, aus dem Schwein in der Zeit von Deng Xiaoping ein Pferd, bis die heutige chinesische Führung unter Xi Jinping schließlich einen Goldklumpen in den Händen hält.
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Wir sind Zeitzeugen eines Aufstieges, der auch dann märchenhaft bleibt, wenn das chinesische Wachstum sich jetzt auf 6,5 Prozent verlangsamt. Richtig ist: Damit wächst Chinas Wirtschaft so langsam wie seit 1990 nicht mehr. Richtig ist aber auch: Deutschland hat Wachstumsraten dieser Höhe zuletzt unter Ludwig Erhard erlebt. Unser Wow-Effekt hieß damals Wirtschaftswunder.
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Das wahre Ausmaß des chinesischen Höhenflugs wird erst dann sichtbar, wenn man die Wachstumszahlen ihrer Abstraktion entreißt und auf die Anzahl der Menschen bezieht. Der nur moderate Bevölkerungszuwachs der vergangenen Jahrzehnte, begünstigt durch die staatliche Ein-Kind Politik, katapultierte Millionen Menschen aus der Armutszone in Richtung Mittelschicht. Aus Bauern wurden Bürger. Pro Kopf stieg das chinesische Bruttoinlandsprodukt kaufkraftbereinigt 2000 bis 2020 um sagenhafte 362 Prozent, derweil die Inder nur um rund 188, die Deutschen um 27 und die Amerikaner um 24 Prozent zulegten.
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Drei Dinge machen die chinesischen Wirtschafts- und Finanzpolitiker besser als die Amerikaner:

► Die USA brüskieren die Welt, China vernetzt sie: Seit 2008 sind die weltweiten chinesischen Direktinvestitionen um 834 Prozent auf 1,9 Billionen US-Dollar gestiegen. Das Projekt Seidenstraße ist attraktiv auch für den Westen. Heute Nacht erklärte Italien als erstes G7-Land, dass es sich an dieser Neubelebung eines tradierten Handelsraumes beteiligen will.

► Die chinesische Führung hat erkannt, dass der Kapitalismus am besten dann funktioniert, wenn er von einem starken Sozialstaat begleitet wird. Das Konzept der „Harmonischen Gesellschaft“ ist dem amerikanischen Konzept einer „The-winner-takes-it-all-Society“überlegen.

► Amerika fährt seine Staatsverschuldung nach oben, der chinesische Staat ist nur mit 50 Prozent der Wirtschaftskraft verschuldet. Erst wenn man die Außenstände der Privathaushalte und der Firmen hinzurechnet, ergibt sich jenes Bild, das den westlichen Alarmismus erklärt.
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Bei der Bekämpfung der Wirtschaftsflaute allerdings ergeben sich Parallelen. Um die Binnennachfrage zu stimulieren, will die KP (genauso wie Trump) die Angebotsbedingungen der Firmen verbessern. Unternehmen sollen um 263 Milliarden Euro entlastet werden, sagte Premierminister Li Keqiang auf der Jahrestagung des Volkskongresses, der gestern in Peking begonnen hat und noch bis zum 15. März dauert. Die Mehrwertsteuer auf Industriegüter wird von 16 auf 13 Prozent gesenkt. Kredite an kleinere Firmen sollen um 30 Prozent gesteigert werden.
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Fazit: Die Warnungen des Westens vor einer chinesischen Vergreisung, vor einem Platzen der dortigen Immobilienblase und den Folgen einer zu hohen Verschuldung sind in Wahrheit westliche Hoffnungen, die sich als Furcht tarnen. Die neue Weltmacht geht trotz all dieser Herausforderungen seit Jahrzehnten ihren Weg und wird bis 2030 die mit Abstand bedeutendste Volkswirtschaft der Welt sein (siehe Grafik).

Die Funktionäre der Kommunistischen Partei debattieren auch auf diesem Volkskongress in einer Ernsthaftigkeit und Offenheit, wie man sie sich im Bundestag und auf Capitol Hill nur wünschen könnte. „Der Abwärtsdruck auf die chinesische Wirtschaft nimmt weiter zu“, sagte Premier Li in seiner Antrittsrede: „Deswegen sollten wir uns in ausreichendem Maße auf härtere Kämpfe gefasst machen.“ Bei den DAX-Konzernen nennt man das Erwartungsmanagement. Das wahre Motto des Volkskongresses müsste lauten: Vorsprung durch Panik.

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