4. Trump macht den Weg für die türkische Armee frei
Der derzeitige Zustand relativer Stabilität in Syrien ist möglicherweise nicht von großer Dauer. Mitte Dezember kündigte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan eine neue Offensive in dem Land an. Die türkische Regierung stört sich massiv an der starken Präsenz der kurdischen YPG-Milizen im Norden und Nordosten des Landes, die der türkischen Terrororganisation PKK nahestehen soll. Die Türkei fürchtet, dass in Teilen Syriens ein kurdischer Protostaat entstehen könnte, ein potenzieller Unterschlupf für PKK-Terroristen direkt hinter der Grenze. Mit dieser Argumentation begründete Präsident Recep Tayyip Erdogan den Einmarsch von Truppen nach Syrien seit 2016. Mit massiven Militäroperationen in den Regionen um Al-Bab und Afrin hat die türkische Armee die YPG bereits weit zurückgedrängt. Ihr größtes Einflussgebiet östlich des Euphrat blieb dabei allerdings nahezu unangestastet. Wohl vor allem, weil sich dort auf mehreren Stützpunkten schätzungsweise bis zu 4000 US-Soldaten befinden, die die kurdische YPG unterstützen.
Doch Präsident Donald Trump hat am 19. Dezember angekündigt, dass die US-Armee das Land verlassen wird. In Regierungskreisen wird damit gerechnet, dass der Abzug in 60 bis 100 Tagen abgeschlossen sein wird. Trumps Ankündigung ließ vor allem im Westen Befürchtungen laut werden, der IS könne sich reorganisieren und zu alter Stärke zurückkehren. Mit Wohlwollen hingegen wurde die Entscheidung in Damaskus, Teheran und Moskau aufgenommen, aus deren Sicht die US-Präsenz eine feindliche Besatzung darstellte. Für Freude dürfte die Ankündigung auch in Ankara gesorgt haben. Denn das größte Hindernis für eine großangelegte türkische Invasion in Nordsyrien, der mögliche Zusammenstoß mit über die Nato verbündete US-Truppen, fällt damit weg. Sollte Erdogan wirklich planen, große Teile Nordostsyriens einzunehmen, hätte er nun freie Bahn. Militärisch ist die YPG-Miliz seiner Armee jedenfalls weit unterlegen. Zwar hat Erdogan die Offensive noch Mitte Dezember verschoben, die Tatsache, dass auf der türkischen Seite der Grenze massiv Truppen zusammengezogen werden, deutet jedoch daraufhin, dass diese Ankündigung nicht von Dauer ist.
Gut möglich, dass sich die Kurden, die bald ohne schlagkräftigen Verbündeten dastehen, genötigt fühlen, weiter auf das Regime in Damaskus zuzugehen - aus Mangel an anderen Partnern. Bislang ist das Verhältnis angespannt aber nicht offen feindselig. In den vergangenen Monaten kam es zu einer vorsichtigen Annäherung, auf einer niedrigeren Ebene trafen sich Vertreter zu Gesprächen. Eine Versöhnung mit dem Assad-Regime würde jedoch in der derzeitigen Lage auch eine Allianz mit Russland und den iranischen Truppen im Land bedeuten. Das würde zu einem bedeuten, dass Teheran endlich die lang ersehnte Landbrücke zwischen dem Iran und dem Libanon herstellen könnte, was wiederum Israel alarmieren würde. Zum anderen stiege so die Wahrscheinlichkeit gefährlicher militärischer Begegnungen auf syrischem Boden. Soldaten des Nato-Mitglieds Türkei könnten auf dem Schlachtfeld kurdischen Kämpfern begegnen, die von Russland oder dem Iran unterstützt werden. Ebenfalls nicht unwahrscheinlich: direkte Gefechte zwischen türkischer Armee und syrischen Regierungstruppen. Schon jetzt verstärkt Assad die Militärpräsenz in der Grenzregion - die Folgen beider Szenarien sind völlig unvorhersehbar.
Quelle: n-tv.de
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